Es fällt mir schwer, diesen Schritt zu gehen, da ich all die Jahre an die Piratenpartei geglaubt habe. Krisen innerhalb der Partei in all ihren Gliederungen gab es immer, aber ich war der Letzte, der das Handtuch geworfen hätte.

Ich bin wirklich kein Mensch, der beim ersten Problem die Flinte ins Korn wirft. Nein eher habe ich über die Jahre immer die Fahne hochgehalten, die Zähne zusammengebissen und weitergemacht. Seit Januar 2009 habe ich unzählige Stunden Freizeit investiert und viel gemacht, um die Piraten hier im Umkreis zu etablieren. Stammtische erstmalig organisiert, den Kreisverband mitbegründet und immer wieder gegenüber Außenstehenden klar gemacht, dass ich hinter den Zielen der Piratenpartei stehe. Selbst als ich in die Piratenpartei eingetreten bin, habe ich geduldig den Leuten hier im Ort erklärt, warum ich diesen Schritt gegangen war.
Irgendwann war ich bekannt wie ein bunter Hund. Man merkt so etwas, wenn einen der Chef nach einem Bundesparteitag zu den dort gefassten Beschlüssen ausfragt.

Und ich war eine lange Zeit gern Pirat.
Die Ideen waren richtig, die Leute, die sie vertraten, waren auf meiner Wellenlänge. Alles passte.
Da war die Mehrarbeit kein Problem. Was sind schon zwei, drei Termine in der Woche mehr, wenn man sieht, dass es voran geht?

Wenn ich so an früher denke, bekomme ich schon fast wieder ein schlechtes Gewissen, wenn ich an dieser Stelle meinen Austritt aus der Partei verkünde.

Es tut mir in der Seele leid, aber es geht nicht mehr. Und zwar aus Gründen.

Mitgliederzuwachs
Mit der ersten Welle 2009 kamen viele, die einfach mal unzufrieden waren und etwas verändern wollten. Da waren viele gute Leute dabei. Daneben kamen die ersten Parteiübertritte. Und die hätten wir uns lieber ersparen sollen. Ein Großteil der internen Konflikte entstand, weil man „gelernte Parteiarbeit“ auf uns übertragen wollte. Einfach mal machen war nicht mehr, weil die „Neuen“ zu Bedenkenträgern mutierten und uns vorschrieben, wie Parteiarbeit zu funktionieren hatte.

Später(2011/12) war dann noch mal ein Mitgliederzuwachs zu verzeichnen. Auch hier waren wieder Leute dabei, die begriffen hatten, wofür die Piraten angetreten waren. Und dann waren einige „Spinner“ dabei, die andere Parteien/Gruppierungen erfolgreich an uns los geworden sind. Anders kann ich das jetzt so nicht bezeichnen.
Insgesamt fiel mir aber auf, dass die Partei immer linksgerichteter wurde. Das schlug sich in Parteitagsbeschlüssen nieder und auch diverse Aktionen gegen rechts wurden mehr. Anscheinend wurden wir zum Sammelbecken von Leuten, die von anderen linken Parteien enttäuscht waren. Was ja auch erst einmal nicht schlimm ist.
Aber wo blieb unser eigentliches Ziel?
Das wurde immer mehr verwässert.

Ich habe Leute kennengelernt, die keinen Schimmer vom Grundsatzprogramm hatten, aber stolz behaupteten, sie seien Piraten. Und das sind keine Einzelfälle.
Aber wie soll das funktionieren, wenn die Mitglieder die Grundsätze nicht kennen und sie vertreten sollen? Mit solchen Leuten brauche ich doch keinen Infostand besetzen und versuchen dem Bürger unsere Themen nahe zu bringen.

Die Basis
Da gibt es Leute, die sich redlich mühen, Programmanträge usw. ausarbeiten, diskutieren und verteidigen. Aber das ist ein kleiner Prozentsatz, den man nicht als Basis bezeichnen kann.

Denn wenn diese nicht gut vernetzt sind, dann bringt ihre Arbeit nichts, da die „andere“ Basis auf dem Parteitag, in Teilen uninformiert, dem Schwarm folgend, oft ganz komisch abstimmt. Oder der Meute folgt, die besser vernetzt ist.
Und das passt ganz gut dazu:

Die Zeitreichen
Basisdemokratie hört sich ja erst einmal gut an. Aber funktioniert nicht, so wie sie bei den Piraten praktiziert wird. Wenn jemand nur wenige Stunden in der Woche Zeit hat, dann wird er es nicht schaffen, Mailinglisten zu lesen, im Liquid Feedback zu arbeiten, Mumblesitzungen zu verfolgen und dann noch zu einem Realtreffen zu gehen. Das Wunschdenken, dass jeder sich einbringen kann, können nur wenige Piraten erfüllen. Die Zeitreichen.
Das sind dann auch diejenigen, die man auf dem Parteitag trifft, wo sie dort die Politik der Partei bestimmen.
Das Experiment halte ich für gescheitert, habe jetzt auch keine Lösung, wie man das verbessern kann, bin aber froh, dass wir das mal ausprobiert haben.

Vorstände vs. Basis
Theoretisch ist die Basis die treibende Kraft bei den Piraten. Vorstände werden gern mal zurückgepfiffen, wenn sie mal mit einem Statement in der Zeitung auftauchen. Vorstände sollen ja nur die Verwaltung übernehmen.
Im wahren Leben sieht es oft anders aus.
Da wird gern auf den Vorstand gewartet und ihm Untätigkeit vorgeworfen, wenn er mal nicht organisiert und der Basis passende Angebote unterbreitet, welche Aktionen man z.B. starten könnte.
Falls es der Basis zu langweilig wird, eignet sich so ein Vorstand auch prima zum trollen. Die sind ja dafür gewählt.
Oft kam ich mir wie im Kindergarten vor, wenn es wieder einmal darum ging, den Zwist anderer Piraten anzuhören und Schlichtungsversuche zu starten. Erwachsen ist anders.
Das hat sowieso genervt: die Befindlichkeiten, wenn einmal ein Wort anders rüber kam, als gedacht. Ich hätte hier nie geglaubt, dass man sich über solche Nebensächlichkeiten so großartig aufregen kann.

Hinzu kam die überaus hohe Erwartungshaltung mancher Piraten an die Vorstandsarbeit, wo immer übersehen wurde, dass die Leute alles ehrenamtlich machen.

Grüppchenbildung
Ganz am Anfang habe ich noch geglaubt, dass ich mit einigen Idealisten zusammen bin und wir gemeinsam ein Ziel verfolgen. Offen, fair und transparent.
Sicherlich haben Menschen untereinander Befindlichkeiten. Das ist normal, dass man nicht mit jedem kann. Aber dann lässt man sich in Ruhe und versucht so die Spannung rauszunehmen.
Aber was ich so im Landesverband erlebt habe, passte nicht zu den selbstgewählten Zielen. Offene Anfeindungen, Leute die viel im Hintergrund agieren, sich vernetzen, Grüppchen bilden und auch gern mal mit schmutzigen Mitteln andere Piraten kalt stellen wollen. Ich erinnere hier nur an den Vorwurf einer angeblichen Stasitätigkeit meinerseits auf der Aufstellungsversammlung. Gemeinsam Politik machen ist was anderes. Das was augenblicklich im Landesverband passiert, ist teilweise widerlich und wird die politische Arbeit noch weiter hemmen.

Zeit
Ein Teil meiner Freizeit ging ja schon vor den Piraten für Lokalpolitik, Vereine etc. drauf. Aber der Zeitaufwand bei den Piraten war sehr viel größer. Mit einem Ziel vor den Augen habe ich das gern in Kauf genommen, brav die hunderte Mails täglich gelesen, organisiert, Abende in Mumble und auf Stammtischen zugebracht.
Und dabei aus den Augen verloren, dass es noch ein Leben neben der Politik gibt. Familie, Freunde, die eigenen Bedürfnisse.
Mein Körper hat mich letztlich mit entsprechenden Symptomen daran erinnert, dass ich ihn irgendwie überfordere. In den letzten Wochen hatte ich viel Zeit zum Nachdenken und mir ist so einiges bewusst geworden.

Wenn ich jetzt nicht die Reißleine ziehe, dann wird es nicht besser.
Gesundheit und Familie gehen vor.
Bei der Aufstellungsversammlung im Oktober war mir das selbst noch nicht so bewusst. Damals dachte ich noch, dass ich trotz aller internen Parteiprobleme das durchziehen werde.
Aber ich bin auch höchst demotiviert. Und in einem solchen Zustand kann ich unmöglich Piraten für den Wahlkampf motivieren, geschweige denn Wähler für uns einnehmen.

Macht’s gut Piraten!

Für die Bundestagswahl wünsche ich viel Glück, obwohl ich nicht mehr daran glaube.